Erdställe
(c) Gerhard Holischka, 1998-2004

Geheimnisvolles im Untergrund

Künstliche Höhlen aus dem Mittelalter. Ein archäologisches Rätsel.


Erdstalltagung vom 03-09- - 05.09.2004 (sh. unten)


 

Erdstalleingang aus einem Weinkeller im Marchfeld (NÖ)

Abstieg in eine Anlage 
(Niederösterreich)

Engstelle

Als Erdställe werden künstliche Höhlen bezeichnet, die wir in einem geographischen Gebiet, das sich von Ungarn über Weinviertel, Waldviertel, Böhmen, Oberösterreich, Bayern, Frankreich bis Spanien erstreckt. Bei diesen Höhlen, die vorwiegend in Lößgebieten zu finden sind handelt es sich um unterschiedlich verzweigte Systeme von zum Teil sehr engen Schliefröhren und Gängen, die zu Kammern führen, deren Aussehen und Ausgestaltung ebenfalls sehr unterschiedlich ist.

Der Name Erdstall leitet sich von dem Begriff Ort, Stelle ab (vgl. Burgstall als Ort (Hügel) auf dem ein festes Haus, eine Burg errichtet wurde) und hat nichts mit dem Stall für Tiere zu tun

Wir finden Erdställe unter Häusern, Kirchen, im freien Gelände und Kellern. Die Zugänge sind meistens versteckt oder schwer zu erkennen, da sie meistens sehr eng und klein sind. Die Form der Gänge reicht von spitzbogig bis zu flachdeckig und sind bis zu mehreren Metern lang, jedoch wegen ihrer Enge (manchmal nicht mehr als 35 cm hoch) oft anstrengend und auf dem Bauch zu befahren (wie bei Höhlenforschern das Durchkriechen von Höhlen genannt wird).

Kammer nur erreichbar durch Schliefröhre (NÖ)
(Höhe 38 cm)

Sakral anmutende Bauformen und Elemente (NÖ)

Vermessen eines im Jahre 2003 entdeckten 
Erdstalles in Niederösterreich

 

Die Kammern sind meist tonnenförmig und kaum mehr als 1,30 m hoch, also zum aufrechten Stehen ungeeignet. Oft sind aus dem Löß in den Kammern Sitzbänke herausgearbeitet, und die nur ca. 30 cm hoch sind, also auch eigentlich nicht an einen Gebrauch durch Menschen erinnern.

   

 

Auch eine Datierung ist schwierig, allerdings kann aufgrund von Inschriften und Scherbenfunden eine zeitliche Einordnung in das Mittelalter vorgenommen werden.

Das große Rätsel dieser Erdställe ist, daß man bis heute nicht weiß, aus welchem Grund und für welchen Zweck diese errichtet wurden. 

Es gab bis zum Jahre 2002 eigentlich keine nennenswerten Funde, die auf eine genaue Datierung und Verwendung schließen lassen. Scherbenfunde sind nur bedingt als Quelle für eine Datierung der Anlagen verwendbar, da die Erdställe zu allen Zeiten aus den verschiedensten Gründen aufgesucht und verwendet wurden (spielende Kinder,  etc.) und es wurden aus allen Zeiten Gegenstände in die Anlagen eingebracht. Insoferne sind Funde kein tauglicher Anhaltspunkt. 

Durch einen besonderen Glücksfall konnte allerdings die Gruppe unserer Freunde, den bayerischen Erdstallforschern des Arbeitskreises für Erdstallforschung in Roding einen Erdstall, der seit dem Mittelalter verschlossen war und in den bei Feldarbeiten ein Traktor eingebrochen ist, freilegen. Mit Unterstützung von Archäologen konnte durch eine C14-Analyse das Alter eines in einem Bauschacht mit weiterem Verfüllungsmaterial eingelagerten Holzkohlestückes ziemlich genau bestimmt werden. Weitere Reste, die mit dem Ende des Erdstalles in Verbindung stehen dürften, konnten ebenfalls datiert werden. Demnach bestand dieser Erdstall ab ca. dem Jahre 1025 bis ca.1200. Damit ist eine ungefähre zeitliche Einordnung dieses Erdstalles gegeben. Allerdings wäre die bloße Übernahme dieses Alters auf alle Erdställe unzulässig, zumal man annehmen muß, daß die Anlagen in den großen Verbreitungsgebieten Europas über einen größeren Zeitraum errichtet wurden. So wie wir auch regional unterschiedliche Bauformen und Charakteristika finden, so wird es möglicherweise auch sehr unterschiedliche Verbreitungszeiträume gegeben haben. Doch ab hier fehlen wieder alle Quellen und Hinweise. 

Dementsprechend uneinig ist die Fachwelt und es stehen sich grundsätzlich zwei Hypothesen für die Errichtung von Erdställen gegenüber:

Die Annahme, daß Erdställe Fluchträume oder Verstecke waren. Argument dafür ist, daß die Zugänge oft gut versteckt lagen und daß Verfolger nur schwer den darin Versteckten folgen hätten können

Die Deutung als Kultstätten – für welche Art von Kult auch immer -. Dafür spricht, daß die Anlagen als Verstecke eigentlich völlig ungeeignet sind, weil 

Es wird u.a. auch die Theorie vertreten, daß die Erdställe eine Art Leergräber für die Seelen der Verstorbenen sein könnten.

Der längere Aufenthalt in den Anlagen ist durch abnehmenden Sauerstoffgehalt der Luft und geringen Luftaustausch schwierig. Mündliche Berichte von Leuten, die in den Jahren des 2.Weltkrieges Erdställe als Verstecke benutzten, belegen die Tatsache, daß die Verstecktheorie eher anzuzweifeln ist.

In Zeiten der früheren kriegerischen Ereignisse wäre auch im Falle von Brandschatzungen der Sauerstoff für die im Erdstall Eingeschlossenen rasch verbraucht und es wäre für etwaige Angreifer der Einstieg gar nicht erforderlich gewesen.

 

  Skizze einer Erdstallanlage

Abstieg aus dem Wohnhaus

 

aus: K. Lukan;
Herrgottsitz und Teufelsbett

 

Die Archäologie hat Erdställe nie zu einem Forschungsschwerpunkt gemacht, sicher nicht zuletzt auch wegen der bereits von vorne herein kaum zu lösenden Frage nach dem eigentlichen Verwendungszweck.

Die heute v.a. aus Weinkellern zugänglichen Erdstallanlagen sind sicher nur mehr Reste früherer großer Systeme, die nach und nach der Erweiterung der Keller zum Opfer fielen. Ein Rückschluß auf das ursprüngliche Aussehen ist demnach kaum möglich.

Die erste systematische Forschungsarbeit lieferte der Benediktinerpater Lambert Karner (Stift Göttweig, dann Pfarrer in Gösing (NÖ). Er brachte um die Jahrhundertwende ein prunkvoll gestaltetes Buch heraus mit dem Titel "Künstliche Höhlen aus alter Zeit" heraus, in dem er sämtliche ihm damals bekanntgewordenen Erdställe sehr genau beschreibt. Die in diesem Buch enthaltenen und von ihm erarbeiteten Höhlenpläne sind äußerst präzise und für die heutige Forschung wichtigste Quelle.

Andere Heimatforscher widmeten Erdställen auch mehr oder weniger großes Interesse (Kießling etc.), allerdings beschränken sich deren Beschreibungen vorwiegend auf bestimmte Regionen bzw. nur bestimmte Objekte in den Ortschaften ihres Interesses.

Wie überhaupt die systematische Forschung eigentlich - abgesehen von der Arbeit Lambert Karner´s - nicht stattfand.

In neuerer Zeit wurde begonnen, die von Karner beschriebenen Anlagen aufzufinden, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und die Objekte genau zu vermessen und zu beschreiben. Dabei zeigte sich, daß die Erdställe, die Karner beschrieb, zu einem erheblichen Teil nicht mehr existieren, im Zuge der Recherchen konnten jedoch zahlreiche noch unbekannte Erdstall- anlagen gefunden, vermessen und dokumentiert werden. Zudem wurde versucht, die betreffenden Grundstückseigentümer vom historischen Wert der Anlagen zu überzeugen so daß ein Weiterbestand großteils sichergestellt ist.

Federführend in der derzeit stattfindenden Erdstallforschung (vorwiegend Niederösterreich) ist die Höhlenforscherin Edith Bednarik, die um große Detailgenauigkeit beim Erfassen der Anlagen bemüht ist, um eine gründliche Forschung zu ermöglichen.

 

Eingang in eine im freien Gelände liegende Erdstallanlage
(Niederösterreich)

Vermessung eines Erdstalles
(Niederösterreich)

 

Wie sich zeigte, besteht in der Bevölkerung weitgehend Unverständnis für die Bedeutung dieser Anlagen und es finden an den allgemein bekannten Anlagen laufend große Zerstörungen statt. Insoferne werden die Arbeiten der Erdstallforschung nicht öffentlich publiziert, um die Folgen des allgemeinen Bekanntwerdens zu vermeiden.

Seit den Arbeiten von Karner ist ein Großteil der von ihm beschriebenen Objekte durch Straßenbau, Hausbau und Umwelteinflüsse, aber auch mutwillige Zerstörung abgekommen.

Um so wichtiger ist es, die noch auffindbaren Anlagen zu dokumentieren und ihren Erhalt sicherzustellen.

 

Erdställe in Bayern

 

Erdstall mit Aufstieg in andere Ebene 
(Bayern)

In Österreich wird die Erdstallforschung von einigen wenigen Leuten betrieben, in Bayern beschäftigt sich ebenfalls eine kleine Gruppe von Höhlenforschern mit dem Rätsel der Erdställe. Es finden jährlich gemeinsame Exkursionen - entweder in Bayern, oder in Österreich - statt. Leider beschränkt sich die Gruppe der aktiven Erdstallforscher aufgrund der meist sehr engen Anlagen und deren oft sehr schwierigen Erforschung (sh. Fotos auf dieser Seite) auf sehr wenige Personen.

Wer gerne an Vermessungsarbeiten teilnehmen möchte, ist dazu herzlich eingeladen (mailadresse sh. unten). Es eröffnet sich eine hochinteressante und neue Welt.

 

aus einer engen Schliefröhre in eine 
schön geglättete Kammer
(Niederösterreich / Weinviertel)

Der Kollege gelangt aus einer engen Röhre in einen schönen rundbogigen Gang (NÖ)

Abstieg in tiefergelegene Schliefröhre
(Bayern)

 

Eine fundierte und verifizierbare Lösung der Frage der Erdställe konnte bis zum heutigen Tag nicht geliefert werden.

Jene, die sich intensiv mit der Erdstallforschung befassen, lassen seriöserweise eine schlüssige Erklärung offen.

Kurioserweise wird gerade von einigen Autoren, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch nie selbst in einem Erdstall waren, immer wieder eine Lösung des Erdstallrätsels behauptet, allerdings sind diese oft kurios anmutenden Hypothesen frei von jeder archäologisch oder logisch haltbaren Beweisbarkeit. Trotzdem finden derartige Bücher im Zuge des Interesses an mystischen Stätten immer wieder Verbreitung.


Soferne Besucher diese Homepage über derartige Anlagen (auch Fragmente und abgekommene Objekte)  Bescheid wissen, ersuchen wir um diesbezügliche Mitteilung.


Kontaktadresse
i n s t _ a r c h @ h o t m a i l . c o m


 

Links

Unsere bayerischen Freunde
Der Arbeitskreis für Erdstallforschung (Roding)

Von Erdställen und Schratzelhöhlen

Mensch und Höhle
sehr interessant: Lochsteine und Durchkriechbräuche

Erdstallforschung in Österreich

Erdställe in Platt (Niederösterreich)

Erdställe im Weingut Pollererhof
weiterführende Links zu dieser Erdstallanlage


Literatur:

Lambert Karner; Künstliche Höhlen aus alter Zeit

Franz Kießling; Über das Rätsel der Erdställe

ders.; Kreuz- und Querzüge

Karl Lukan; Herrgottsitz und Teufelsbett

ders.; Wanderungen in die Vorzeit

Ó Gerhard Holischka, 1998 - 2004


Vom 26.09. - 28.09.2003 fand in Roding (Bayern) die 
internationale Erdstalltagung
 2003 statt. 

Ein Bericht darüber (inkl. Fotos ) kann nachgelesen werden


 

Die heurige Erdstalltagung findet 
wieder einmal in
Österreich statt. 

Vom
03.09. - 05.09.2004 werden - neben Vorträgen und Diskussionen - sehr interessante Anlagen im Weinviertel und am Rande des Waldviertels besucht. 

Details dazu http://www.erdstall.de/aktuell.php


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